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Boris Cyrulnik

Boris Cyrulnik

Missbrauch, Krankheit, Kriege - wie gehen Menschen mit traumatischen Erlebnissen um? Wie schaffen sie es, trotz ihrer erschütternden Erfahrungen zu einem "normalen" Leben zurückzukehren - oder sogar noch als gestärkte Persönlichkeit aus der Krise hervorzugehen? Der französische Psychiater Boris Cyrulnik ist einer der führenden Vertreter der Resilienzforschung. Resilienz ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Cyrulniks Sachbücher mit Titeln wie "Die Kraft, die im Unglück liegt" oder "Warum die Liebe Wunden heilt" finden sich regelmässig auf den internationalen Bestseller-Listen. In seinem eben auf Deutsch erschienenen Buch "Rette dich, das Leben ruft" stellt er jetzt seine eigenen traumatischen Kindheitserlebnisse in den Mittelpunkt.

Boris Cyrulniks Eltern übersiedelten 1936 aus der Ukraine und Polen nach Frankreich. Sein Vater kam als französischer Soldat im Zweiten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft, wurde als Jude nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Seine Mutter konnte den Sohn im Juni 1942 im letzten Moment noch bei einer Pflegefamilie in Sicherheit bringen, bevor auch sie als Jüdin den deutschen Besatzern in die Hände fiel. Boris geriet im Januar 1944 als 6-Jähriger mit Hunderten von jüdischen Kindern in eine Razzia der Gestapo, welche die Kinder in der Synagoge von Bordeaux zusammentrieb. Er konnte aber aus der Gruppe entkommen und entging so der Vernichtung. Nach dem Krieg wurde er zwischen der Familie seiner Tante und seiner Pflegefamilie hin- und hergerissen. Dazu war er noch in über zwölf Heimen. Bereits mit 11 Jahren wusste er, dass er Psychiater werden wollte. Nach Schule und Gymnasium studierte er zuerst unter sehr prekären finanziellen Verhältnissen Medizin und bildete sich später zum Psychiater weiter. Erst viel war es ihm möglich, die Geschichte seiner Kindheit aufzuschreiben. 1996 wurde er Studiendirektor der Fakultät der Humanwissenschaften der Université du Sud-Toulon-Var, Inhaber des Lehrstuhls für Ethologie sowie der Leiter einer Forschungsgruppe für klinische Ethologie am Krankenhaus von Toulon. Zum Konzept der Resilienz (seelische Widerstandskraft) hat er zahlreiche Bücher verfasst, die leider fast nur in französischer Sprache vorliegen.


Rette dich, das Leben ruft! Boris Cyrulnik, Ullstein Verlag, 2014
Was macht Menschen stark in Extremsituationen? Diese Frage stellt sich Boris Cyrulnik in diesem ersten Teil seiner Biografie, die hier auch auf Deutsch vorliegt als einer der führenden Resilienzforscher. Seine eigene Lebensgeschichte gibt darauf Antwort. Glückliche Zufälle und beherzte Hilfe retten ihn vor der Deportation. Aber es folgt eine jahrelange Odyssee durch Heime, Pflegefamilien und Internate. Er erzählt erstmals die schmerzlichen Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend. Und er zeigt, was uns trotz widriger Umstände stark macht, und was es weiter braucht, damit wir ein glückliches Leben führen können. Ein Mut machendes Buch, das grosse Hoffnungen in menschliches Handeln und Gemeinschaft setzt.


Les âmes blessées, Boris Cyrulnik, éditions Odile Jacob, 2014
Der zweite Teil seiner Biografie, der vorerst nur im französischen Original vorliegt, ist ein faszinierendes Stück Berufsarbeit und unermüdlicher Forschung. Die 50 Jahre Psychiatriegeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrem dogmatisch-totalitären Hintergrund, des Wegsperrens, der Isolation von der Gesellschaft, der Stereotypen und der teilweise jahrhundertealten gewalttätigen Muster, die einem Zeitgeist entsprachen, welcher die grundlegendsten Menschenrechte auf das sträflichste missachtete. Es ist ein Zeugnis unermüdlichen Forschens und Kämpfens für eine andere Menschlichkeit. Als in der Kindheit Betroffener zeigt er auf, wie Geborgenheit und Sprache die durch Zwang zum Schweigen gebrachten und mehrfach Traumatisierten erfolgreich ins Leben und in die Gemeinschaft zurückfinden können.