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Wilde, wüste Geschichten:
"Wie man kaputt werden kann"

Jeremias Gotthelf

Eine Geschichte von Jeremias Gotthelf, die kaum oder nur wenig bekannt ist. Sie zeigt Gotthelfs manchmal brandschwarzen Humor. Hier am Beispiel eines vertrackten Egoisten, welcher meint, er könne seine Mitmenschen über den Tod hinaus prellen, der sich aber seine eigene Hölle bereitet.

Ein Geizhals war schwer erkrankt, lag einsam für sich alleine, und, wie er sich um niemand bekümmert hatte, so bekümmerte sich auch niemand viel um ihn. Als der Arzt ihn eines Tages besuchte, fragte ihn der Geizhals auf sein Gewissen um seinen Zustand, ob Rettung möglich sei oder keine, und ob es noch lange gehen könne. So gefragt, rückte der Arzt offen mit der Sprache heraus und sagte ihm, dass menschliches Ansehen nach für ihn durchaus keine Rettung sei, dass er höchst wahrscheinlich morgen um diese Zeit eine Leiche sein werde. Dieses Urteil erschreckte den Kranken durchaus nicht; gelassen sah er den Arzt von hinnen ziehen.

Sobald derselbe hinaus war, kroch er mühselig aus dem Bette, kroch zu seinem Schreibtisch, nahm ein Päcklein aus demselben, welches aus Kassenscheinen im Wert von hunderttausend Talern bestand, legte dasselbe sachte aufs glimmende Kaminfeuer, setzte sich in den dabeistehenden Armstuhl und sah mit dem innigsten Behagen zu, wie es zu glimmen begann, die Funken hin- und herschossen, die Flamme aufloderte und wieder zusammensank, die einzelnen Scheine sich krümmten, schwarz wurden, in Asche zerfielen oder das Kamin aufflogen, und sein Behagen stieg von Schein zu Schein, bis das Häufchen verglommen war. Dann kroch er wieder zu Bette und legte sich zum Sterben hin; jetzt hatte er sein letztes Werk vollbracht, sein Zeitliches bestellt, sein Testament gemacht, weil er keinem Menschen etwas gönnte, so hatte er die Flammen zu seinem Haupterben gemacht.

So lag er im Bette, ward bewusstlos, und als ihm, er wusste nicht wie, seine Augen aufgingen, meinte er, jetzt werde er endlich sehen, wie es im Himmel sei. Aber der Himmel sah akkurat aus wie sein altes Zimmer, und als er den genau ansah, den er anfänglich für unsern Herrgott genommen, da war es der wohlbekannte Arzt. Der hatte mit Staunen ihn betrachtet, ihm den Puls gefühlt und sagte endlich: „Herr, was bei Menschen nicht möglich war, das hat wieder Gott getan; ein wundertätiger Schlaf hat sich eingestellt, Ihr seid gerettet.“ Es war das wohltätige Gefühl, sein Werk vollbracht, alle Menschen betrogen zu haben, auch seine nächsten Verwandten, was eine wohltätige Krisis herbeigeführt, ihn gerettet hatte. Aber was er für Augen machte, als der Arzt so sprach, wie er glotzte, wie er stierte! Der Arzt meinte, der Schlaf komme wieder und werde noch länger dauern, er entschuldigte sich daher, dass er ihn geweckt, er solle sich nur stillhalten, fortschlafen, er sei gerettet; und somit ging er hinaus mit bedenklichem Gesichte, erwägend, was es eigentlich heisse, wenn ein Arzt sage, der sei gerettet und der werde sterben, ob man das je könne, je dürfe, je solle.

Am andern Morgen polterte er etwas sorglos die finstere Treppe hinauf, sah gleich nach dem Bette hin, das war leer, sah im Zimmer herum, das war leer; am Fenster hing etwas, aber dort pflegten gewöhnlich Kleider zu hängen. Doch als der Arzt den Schaden nun sah, hing am Haken der Alte selbst; der hatte seine Genesung nicht überleben wollen, der hatte es nicht übers Herz bringen können, dass er alle habe betrügen wollen, aber am Ende sich alleine betrogen. Sein Leben, das nur zu seinem eigenen Betruge gedient, das warf er dem Gelde nach, um welches er andere betrogen. Der sah den Bschiss bei Lebzeiten ein, gar manchem werden aber erst an einem andern Orte die Augen aufgehen, zu sehen, wie grässlich er sich selbst angeschmiert.


Jeremias Gotthelf
Wilde, wüste Geschichten
zusammengestellt von Peter von Matt, Nagel&Kimche Verlag, 2012