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Vita, von Melania G. Mazzucco

Melania G. Mazzucco

Der Roman Vita erzählt die Geschichte zweier Kinder von 9 und 12 Jahren, die 1903 aus der Armut wie Tausende von Italienern in die USA auswandern und dort im Elend der New Yorker Arbeiterviertel landen. Das Werk zeigt auch die Suche der Autorin selbst nach dem Schicksal der eigenen Familie in diesem Emigrationsprozess auf. Über die individuellen Schicksale hinaus erinnert dieses grossartige Buch (das 2003 den Premio Strega erhielt) an die vielen Italiener, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ihre ausgeblutete Heimat verliessen, um in Amerika ihr Glück zu suchen, dort aber meist statt eines American Dream eher einen Alptraum voll von Ausbeutung, Kriminalität, Entbehrungen und erneuter Hoffnungslosigkeit durchlebten.

Kurzinhalt:
Mutterseelenallein kommen Vita und Diamante im Jahr 1903 aus ihrem bitterarmen Heimatdorf Tufo di Minturno auf Ellis Island im Hafen von New York an. Im Arbeiterviertel Little Italy betreibt Vitas Vater Agnello mit seiner amerikanischen Frau Lena und dem älteren Bruder Nicola eine schäbige kleine Pension, wo Tagelöhner notdürftig unterkommen. Hier ziehen auch Vita und Diamante ein, müssen aber kräftig mit anpacken. Keine Arbeit ist zu schwer, zu dreckig oder zu unmoralisch. In dieser rohen Lebenswelt lernen die Kinder alle möglichen Typen und ihre Machenschaften kennen: bedauernswerte, gebrochene, fragwürdige, mutige, lebenstüchtige, skrupellose. Es sind auch die Jahre, in denen italienische Banden ihr berüchtigtes Handwerk der Schutzgelderpressung etablieren. Das chaotische Armenviertel ist packend geschildert. Hier schlagen sich die beiden Kinder irgendwie durch.

Je älter und reifer sie werden, desto stärker wachsen Verbundenheit, Vertrauen und Zuneigung zwischen ihnen, und dennoch verlieren sie einander schliesslich im Gewirr der Ereignisse aus den Augen. Diamante treibt es auf der Suche nach lukrativer Arbeit über einige Zwischenstationen zu den Eisenbahnbaustellen im Westen, wo er Unfassbares durchleidet, ehe er zermürbt in seine italienische Heimat zurückkehrt. Vita bleibt in New York und baut ein erfolgreiches Restaurant auf. Die Autorin verwebt zwei weitere Stränge im Roman: Einer erzählt von einem jungen US-Soldaten, der mit den amerikanischen Invasionstruppen 1944 in Süditalien landet und bis Tufo di Minturno vordringt. Er ist Vitas Sohn, er sucht den zurückgekehrten Diamante, um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum seine Mutter und er nicht mehr zusammenfanden. Der weitere Strang ist autobiographisch. Die Autorin berichtet von den umfangreichen Recherchen für die eigene Familiengeschichte. Durch Erzählungen ihres Vaters (Diamantes Sohn) und eines blinden Onkels, sowie Briefen begann sie die Recherchen in Zeitungen, New Yorker Polizeiarchiven, Passagier- und Lohnlisten, die sie mit viel Phantasie und Einfühlung vervollständigte.

Walter Zwahlen

Vita, von Melania G. Mazzucco, Knaus Verlag, 2004
Cover des Buches der deutschen, italienischen und französischen Edition.

Das Buch wurde 2005 von Paolo Virzì verfilmt.