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Schreiben gegen Ohnmacht und Elend

Poe, Bernhard, Balzac, Swift

Wer als Kleinkind oder Kind die Eltern durch Krankheit, Tod oder Armut entbehren musste, deshalb zu Pflegeeltern, ins Heim- oder Waisenhaus kam, trägt oft eine lebenslange Wunde durch diese frühe Trennung mit sich herum. Zahlreiche Schriftsteller teilten dieses Los. Ihr Schreiben hielt die Dämonen in Schach. Weil sie dem Unfassbaren ausgesetzt waren, mussten sie Mythen erfinden, sich schreibend befreien. Siegen durch das Wort. Die vier porträtierten Schriftsteller aus verschiedenen Epochen und Ländern beweisen stellvertretend, dass die Fremdplatzierung ein bis heute ungelöstes internationales Problem ist, das weitere Leben verstört.

Poe
Edgar Allan Poe 1809-1849

Bereits ein Jahr später stirbt sein Vater und 1811 auch noch die Mutter. Edgar Poe kommt als Pflegekind in die Familie des Kaufmanns John Allan in Richmond, Virginia. In einer kurzen Taufszene wird er zu Edgar Allan Poe. Adoptiert wird er jedoch nie. Im Juni 1815 zieht die Pflegefamilie nach England. Edgar Poe besucht Schulen in London. 1820 gerät der Pflegevater mit seinem Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten. Es erfolgt die Rückreise nach Amerika. 1820-23 beginnt Poe Spottverse und Gedichte zu verfassen. 1826 beginnt Poe ein Sprachstudium an der Universität in Charlotteville in Virginia. 1833 gewinnt er mit der Erzählung „Found in a bottle“ einen ersten Preis. 1835 wird er Kritiker beim „Messenger“, muss diesen Posten aber 1937 wegen Alkoholproblemen aufgeben. Er zieht nach New York, aber schon 1938 weiter nach Philadelphia. Er verfasst zahlreiche Texte, bekommt gute Stellen als Redaktor, die jedoch meist nur kurze Zeit erfolgreich ausfüllt. Zwar hinterlässt er ein grosses schriftstellerisches Werk, aber depressive Phasen, mehrere Liebschaften, Schulden, und weitere Umzüge zeichnen seinen weiteren Lebensweg.

Bernhard
Thomas Bernhard 1931–1989
Thomas Bernhard wird im Februar 1931 in Holland als unehelicher Sohn der österreichischen Dienstmagd Herta Bernhard geboren. Der Vater, Alois Zuckerstätter, ein Tischler aus dem Salzburgischen setzt sich nach Deutschland ab. Schon im Herbst des gleichen Jahres bringt die Mutter Thomas zu ihren Eltern nach Wien. Diese werden für die ersten sechs Lebensjahre zu seinen Zieheltern. Ende 1937 nimmt die nun in Deutschland verehelichte Mutter Thomas zu sich und dem Stiefvater, mit dem er es nicht kann. Thomas reagiert mit Schulschwierigkeiten 1940 begeht der leibliche Vater Suizid. Da auch die Mutter mit ihrem Erstgeborenen nicht zu Rande kommt, wird Thomas 1942 in ein NS-Erziehungsheim in Thüringen „verschickt“. Ab Herbst 1943 besucht er die Hauptschule in Salzburg. Nach einem schweren Bombenangriff auf Salzburg muss Thomas 1944 zurück zur Mutter nach Deutschland. 1945 geht es zurück in ein katholisches Schülerheim, von wo aus er das Gymnasium besucht. 1947 verlässt Thomas sechzehnjährig das Gymnasium und beginnt eine Lehre in einem Lebensmittelgeschäft. Eine nicht ausgeheilte Erkältung und die Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit bedingen 1949 mehrmonatige Sanatorienaufenthalte. Dort beginnt Thomas Bernhard intensiv zu lesen und zu schreiben. Er wird in der Folge ein umstrittener, bedeutender Autor, der sich in vielen seiner Texte seinem unglücklichen, lebensgeschichtlichen Lebenshintergrund widmet und damit aneckt. Das Schreiben bleibt ein wichtiges Element seiner Selbstbehauptung.

Balzac
Honoré de Balzac 1799-1850
Kommt am 20. Mai 1799 als Sohn des Bernard-François Balzac in Tours zur Welt. Er wächst zunächst zusammen mit der älteren Schwester bei einer Amme im Loiregebiet auf. Eine damals gängige Praxis bei bürgerlichen Familien. 1903 kommt er zu einer Pflegefamilie zurück nach Tours. 1807 wird er in Vendôme in ein Collège gebracht, wo er ohne Kontakt zur Familie weiterlebt. 1813 bedingen Krankheit und Nervenüberreizung die Rückkehr ins Elternhaus. 1814 übersiedelt die Familie nach Paris. Honoré kommt erneut in ein Internat, von wo aus er das Lyceum besucht. 1816 beginnt er Jura zu studieren, legt 1819 die erste Prüfung zum Baccalauréat ab. 1820 erklärt er, er wolle Schriftsteller werden und bezieht eine ärmliche Mansarde. Auch später lebt er beim Schreiben in klösterlicher Abgeschiedenheit, wo er die menschliche Komödie in zahlreichen Werken begründet. Er wird berühmt aber die Skepsis gegenüber den Menschen taucht in vielen Figuren seiner Stücke wieder auf.

Swift
Jonathan Swift 1667-1745
Swifts Vater starb, als seine Mutter erst wenige Woche mit ihm schwanger war. Er wuchs in der extremen Armut Dublins auf. Seine Amme entführte ihn nach England. Seine Mutter holte ihn nach Irland zurück. Aber als er vier Jahre alt war, verliess sie ihn. Er kommt zu seinem Onkel, dem Bruder seines Vaters. Mit 6 Jahren beginnt eine harte Internatszeit in Kilkeny, die später im Trinity College noch verschärft wird. Die affektiven Schwierigkeiten und seine Bindungsangst prägten sein weiteres Leben. Dadurch wurde er aber für das Leiden anderer sensibilisiert und kämpfte sein ganzes Leben lang für die Rechte der Kinder. In Gullivers Reisen (1726) versuchte er die innere Spaltung zu überwinden. Die Angst, von Anderen beherrscht zu werden, beschreibt er in diesem Roman meisterhaft und zeigt Wege auf, diese Ohnmacht zu überwinden.