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Maarten ’t Hart: Der Sohn eines ehemaligen Verdingkindes als Schriftsteller

Maarten ’t Hart

Maarten ’t Hart kam 1944 als ältester Sohn des Totengräbers, Paulus ’t Hart, und Magdalena van den Giessen in Holland auf die Welt. Er wuchs in einer von strengem Calvinismus geprägten Umgebung auf. Er studierte von 1962 bis 1968 an der Universität Leiden Biologie mit dem Schwerpunkt Verhaltensforschung und arbeitete von 1970 bis 1987 an derselben Universität als Dozent für Verhaltensbiologie. In „Gott fährt Fahrrad oder Die wunderliche Welt meines Vaters“ versucht der Autor, die schwierige Vater-Sohn-Konstellation des durch die Kindheit geschädigten Erzeugers nachzuvollziehen.

Der sehr erfolgreiche niederländische Schriftsteller Maarten ’t Hart lässt die schönen und schlimmen Erinnerungen an seinen verstorbenen, zu Lebzeiten ebenso unberechenbaren wie liebevollen Vater noch einmal aufleben. 1979 in den Niederlanden erstmals erschienen, ist „Gott fährt Fahrrad oder Die wunderliche Welt meines Vaters“ das bisher privateste Buch des Autors.

Der Roman ist die persönliche Verarbeitung über den Verlust des Vaters und zugleich ein literarisches Denkmal. Maarten ’t Hart erinnert sich in wehmütigen, manchmal zärtlichen Worten die Welt seiner Kindheit und Jugend. Jahre im Schatten des stets mürrischen Vaters, doch voller Verständnis noch dann, wenn dieser sich im Alter für die zahlreichen körperlichen Züchtigungen zu entschuldigen versucht. Ein poetisch liebevolles Buch über den wortkargen, polternden, aufmerksamen Vater, Fahrradfahrer und stark religiösen Calvinisten. Die vielen Einzelszenen und Rückblicke bestimmen die gemeinsame Geschichte von Vater und Sohn, in der ruppige Meinungsunterschiede nicht fehlen. Das Werk folgt im Wesentlichen dem Verlauf der Zeit zwischen der Krebsdiagnose und dem Tod des Vaters. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive. Das Verhältnis von Vater und Sohn mutet den Leser manchmal seltsam an. An einer Stelle schreibt der Autor diesen verwirrenden Satz: “Man liebt niemanden, weil er nett ist.” Und richtig nett war Pau nicht zu seinem Sohn, er hat ihn täglich getreten und geschlagen, mehrfach wird das erzählt, auch von Pau selbst, der darüber durchaus erschrocken ist, wollte er doch seinem Sohn solches, was ihm als Kind widerfahren ist (als er damals als 13jähriger das Haus verliess, rief ihm die Mutter etwas nach wie: “Ein Fresser weniger!”), nicht antun. Aber er tat es. Und doch liebte der Sohn ihn, liebte ihn abgöttisch…

Der Vater war ein grober Klotz, man kann es nicht anders sagen. Drückte Unbekannten bei der Begrüssung die Hand so fest, dass sie schrien vor Schmerz, vertrieb Besucher mit heraushängendem Gebiss vom Friedhof, wenn er sie dort nicht sehen wollte, nahm kein Blatt vor den Mund. Man kann es auch als eine Art von Humor bezeichnen, Maarten ’t Hart schreibt später, sein Vater hätte in seinem Humor die Wut versteckt, die Wut auf das Leben. Am Ende seines Lebens konnte er diese Wut dann nicht mehr verstecken, dann trat sie zu offen Tage.

Walter Zwahlen


Maarten ’t Hart
Gott fährt Fahrrad oder die wunderliche Welt meines Vaters
Verlag Piper
ISBN-10:3-492-27381-5