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Überleben am Red River

Therese Bichsel

Angelockt von den Beschreibungen des verschuldeten Hauptmanns Rudolf von May, eines Berner Patriziers, der Kolonisten für Kanada anwirbt, wandern im frühen 19. Jahrhundert rund 170 Menschen aus Bern und Neuenburg in die Gegend des heutigen Winnipeg aus. Die hoffnungsvoll begonnene Reise in ein neues Leben steht unter keinem guten Stern. Die vollmundigen Anpreisungen des Hauptmanns entpuppen sich weitgehend als leere Versprechen. Als die völlig erschöpften Auswanderer nach den vielen Strapazen und der viel länger dauernden Reise bei Wintereinbruch endlich den Zielort am Roten Fluss erreichen, erwartet sie dort grosse Not. Die im Prospekt von Hauptmann May garantierten Häuser und die Verpflegung entpuppen sich als leere Versprechen. Die Frauen, über die in dieser Männergesellschaft verfügt wird, trifft es besonders hart. Nach zwei harten Wintern sehen sich die Meisten gezwungen Kanada zu verlassen, in die USA weiterzuziehen oder sogar in die Schweiz zurückzukehren.

Der Roman basiert auf einer wahren Geschichte, die in Briefen, Zeitungsartikeln und persönlichen Aufzeichnungen gut dokumentiert ist. Der damals erst 15-jährige Maler Peter Rindisbacher (1806–1834) hat alle Stationen der beschwerlichen Schiffsreise über den Atlantik und von der Hudson Bay bis Fort Douglas in Bildern festgehalten. Seine Schwester Elisabeth Rindisbacher sowie Anni Scheidegger, bei Beginn der grossen Reise zehnjährig, stehen im Zentrum des Geschehens, das aus ihrer Perspektive erzählt wird.

Würdigung
Die Autorin Therese Bichsel hat sich durch ihr Buch mit dem Schicksal von Kanada-Auswanderern auseinandergesetzt, Dokumente sichtbar gemacht, die der Öffentlichkeit kaum bekannt waren. Die Emigration nach Kanada ist nur lückenhaft dokumentiert. Sie zeigt auf, wie hart der Lebenskampf am Anfang des 19. Jahrhunderts für grosse Teile der Bevölkerung war. Eindrücklich schildert sie die vielen Entbehrungen der Migranten während der Reise und im Zielland. Seekrankheit, heftige Stürme, Packeis, lange Märsche, Hunger, Erschöpfung, abenteuerliche Routen, mühsames Vorankommen, ungenügende Kleidung und oft kaum Obdach. Menschen, die sich immer wieder als Vergessene, Schutzlose und Geprellte vorkamen. Stets gab es neue Herausforderungen, stellten sich Ihnen Hindernisse in den Weg, waren sie unvorbereitet einer Zwangslage ausgeliefert. Besonders in der Zwickmühle und unter zusätzlichen Abhängigkeiten waren die Frauen. Über sie wurde von den Männern verfügt. Die noch nicht volljährigen Mädchen wurden zwangsverheiratet. Besonders ausgesetzt waren die beiden Witwen mit ihren Kindern, welche die Behörden zur Emigration gezwungen hatten.


Überleben am Red River
These Bichsel, Zytglogge Verlag, 2018

Peter Rindisbacher
Die ganze Reise von Münsingen bis Fort Douglas und das Leben dort zusammen mit den Eingeborenen hat Peter Rindisbacher in vielen Bildern als Maler festgehalten. Ein erstaunliches Werk wenige Jahre vor der Entdeckung der Fotografie. Sein Oeuvre befindet sich verstreut in den USA und Kanada. Nur 2006 wurde ein Teil seiner Bilder im Schloss Münsingen in einer kleinen Ausstellung gezeigt. Spätere Maler wie Karl Bodmer fanden mehr Beachtung. Der Pionier, Peter Rindisbacher ging leer aus und starb relativ früh mit 28 Jahren in St. Louis. Heute sind 187 Aquarelle und Zeichnungen von Peter Rindisbacher bekannt, Gemälde sind kaum erhalten. Der grösste Teil davon befindet sich in kanadischen oder US-amerikanischen Museen, einiges ist in Privatbesitz. In der Schweiz ist gemäss aktuellem Wissensstand kein Originalbild von ihm vorhanden.