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Sich im Leben zurechtfinden – was es alles braucht, damit dies klappt

Familiärer Schutz

Die Geschichte der Fremdplatzierung zeigt sich in den meisten Fällen als Gewalteingriff. Man riss Menschen durch behördliche Massnahmen ohne Anhörung und entsprechende Information willkürlich aus ihrem gewohnten Umfeld. In den meisten Fällen war es eine Missachtung oder Verletzung der Grundrechte. Gerade für Kinder und Jugendliche war dieser Vorgang in der Regel über Jahre oder sogar Jahrzehnte verheerend. Im Tierreich am Beispiel von Jungvögeln zeigt es sich. Sie bleiben so lange im Nest, bis sie flügge sind.

Schutz, Halt, Vorbild und Perspektiven sind wichtige Inhalte für eine gelungene Kindheit. Gerade die ersten acht Jahre, welche ein Kind in der eigenen Familie verbringen darf, sind essenziell: körperlich, seelisch, geistig und emotional. Ein Kind muss wissen, woher es kommt, zu wem es gehört, wo es sich befindet, wohin es sich bewegt, ahnen lernt, was kommt. Ohne diese Orientierung fehlt die zeitlich-räumliche Dimension in seiner Entwicklung. Es gibt kein Davor und kein Danach. Nur einen Mangel mit vielen Fragezeichen. Wenn ein Kind durch zwangsweise Fremdplatzierung im frühen Alter von Vater/Mutter/Geschwistern weggerissen wird, fehlt die Verbindung zu seiner Herkunft. Nämlich die zeitliche und örtliche Fixierung. Es ist hingeworfen in eine diffuse, ihm unerklärliche, fremde Lebenswelt mit ihm fremden Gesetzen, die es nicht verstehen kann. Neben einem nebulösen Früher steht ein diffuses Jetzt. Umso schlimmer, wenn die damit verbundenen Lebensumstände kontraproduktiv sind. Beispiele wie Gewalt, Hunger, Kälte, Isolation, Aussetzung, Schutzlosigkeit. Diese Lücke später zu füllen, ist mehr als anspruchsvoll. Denn gerade die emotionale Sicherheit, welche dem Kind normalerweise durch die Herkunftsfamilie vermittelt wird, hat vielfältige Funktionen: Aufgehobensein, Bindung, Zugehörigkeit, Hilfe, Führung und das Wissen, wer mich gemacht hat.

Dazu kommt die fehlende räumliche Orientierung in den Kurzbegriffen woher und wohin. Bestimmend ist allein die Zufälligkeit des aktuellen Seins in einer meist rauen Wirklichkeit. Auf die Frage des Warum, warum etwas so und nicht anders ist, fehlt die Begründung, die Erklärung, das Verständnis für den Fragenden. Das Kind fühlt sich überfordert weil jegliche Anbindung an etwas Vertrautes fehlt, ein Eingebettetsein in etwas für ihn Nachvollziehbares. Es folgt die Ernüchterung als Ausdruck des emotionalen Verlorenseins. Weil der für die kindliche Entwicklung wichtige Halt und natürliche Rahmen gekappt wurde. Und wenn dann noch die herrschenden Bedingungen kaum mehr erträglich sind, kommen Suizidgedanken auf.
Und heute? Heute leben viele Menschen in einer Welt des Zuviel. Tausende von Infos, aber auch keine Richtung. Getrieben weder Schutz, Halt, Sinn, noch ein Wohin.

Text: Walter Zwahlen