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«Enfants à louer»

Kinderversteigerung

Im Juni 2012 hat sich der Freiburger Staatsrat im Namen des Kantons offiziell bei Verding- und Heimkindern entschuldigt. Inzwischen liess er einen Teil seiner Geschichte der Fremdplatzierungspraxis wissenschaftlich aufarbeiten. Das Buch zur Studie der Universität Freiburg belegt beschämende Praktiken und umfasst den Zeitraum von 1811 bis 1928.

Ab 1850 waren im Kanton Freiburg die Gemeinden zuständig für die Platzierung von armen Kindern und Waisen. Dies geschah in vielen Gemeinden teilweise mittels öffentlicher Versteigerungen. «Wir haben Dokumente gefunden, die belegen, dass Kinder nach der Sonntagsmesse versteigert wurden», erklärt die Co-Autorin und Historikerin Rebecca Crettaz. Die Ausschreibungen dazu wurden an meist frequentierten Ort wie der Dorfkäserei aufgehängt. Sie hat Gemeinderatsprotokolle von acht französischsprachigen Gemeinden im Kanton Freiburg untersucht. Die Gemeinden platzierten die Kinder bei dem Bauern, der für Kost und Logis am wenigsten verlangte. Unwürdige Mindeststeigerungen, wie sie Gotthelf im Buch «Der Bauernspiegel» 1837 beschrieb. Die Armennot kam die Gemeinden teuer zu stehen, sagt die Historikerin: «Es gab Gemeinden, die bis zu zwei Drittel ihres Budgets dafür ausgeben mussten.» Ein Gesetz verbot ab 1928 im Kanton Freiburg die Versteigerung von Verdingkindern. Aber es seien auch danach weiterhin Kinder platziert worden, sagt Co-Autor Francis Python. Zunehmend landeten arme Kinder und Waisen in kirchlichen Institutionen und Heimen. «Auch hier gab es Misshandlungen.»

Die staatliche Kontrolle habe lange gefehlt. Die Missstände wurden schon früh erkannt, von Einzelpersonen, Fachleuten, einzelnen Parlamentariern und Oberamtmännern immer wieder kritisiert. Viele nötige Reformen aber unterblieben lange oder wurden auf Gemeindeebene desavouiert. Ausbeutung und Willkür gingen so ungehindert weiter. Die Verbesserung des Schicksal der Mündel und ihre Schul- und Berufsbildung zählten kaum. Die Verantwortlichen in den Gemeinden waren vor allem darauf bedacht, ihre Finanzen zu schonen und die Mündel möglichst günstig zu verschachern. An den diversen Orten der Ausstellung «Verdingkinder reden» berichteten ehemalige Verdingkinder aus dem Kanton von schlimmen Zuständen bis weit in die 1950er Jahre. Staatsratspräsident Erwin Jutzet, dessen eigener Grossvater Verdingkind in äusserst üblen Verhältnissen war, sagte: «Es geht dem Kanton heute vor allem auch um eine moralische Anerkennung des Unrechts.»

Die Studie ist ein erster wichtiger Teil in der Aufarbeitung der kantonalen Geschichte. Dennoch bleibt noch Vieles zu tun. So zeigen die Unterlagen in den Archiven sehr viele Lücken auf, fehlen für das 19. Jahrhundert und bis 1935 die Stimmen der Betroffenen nahezu vollständig. Und in einzelnen Regionen des Kantons mangelt auch weiterhin das Verständnis für diese wichtige historische Aufarbeitung. seiner unrühmlichen Praxis. Ebenso sieht es mit der Mehrheit der Schweizer Kantone aus. Gerade diejenigen, welche bisher keinen finanziellen Beitrag an den Soforthilfefonds geleistet haben, zeigen, dass ihnen die wissenschaftliche historische Aufarbeitung immer noch kein Anliegen ist.



Das Gemälde des Künstlers Robert Bugnon entstand 1998 nach einer Foto des Dorfplatzes von Enney im Greyerzerland von Charles Morel (1901).
©Sammlung Glasson des musée gruérien in Bulle.


Audio: Historikerin Rebecca Crettaz über Verdingkinder (SRF Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 24.04.2015), 4:16 min


«Enfants à louer»
Das Buch ist bei der Société d'histoire du canton de Fribourg auf Französisch erschienen und kostet 40 Franken.