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Kindsmörderinnen

Kindsmörderin

Frauen, welche bis im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts aus Not und Verzweiflung ihr Kind töteten, endeten meistens auf dem Schafott. Die Gerichte verhörten die Fehlbaren, zum Teil sogar unter Folter und erzwangen so ein Schuldeingeständnis. Die Mehrheit der jungen, ledigen Frauen wurden durch irgendwelche Buschen und Männer geschwängert. Das galt als Unzucht, war illegal und wurde geahndet. Dem nach Gesetz eigentlich mitfehlbaren Kindsvater stellte man jedoch kaum je nach. Die Frau und Mutter war die Täterin und bekam die strenge Moral und das Verdikt der Justiz in aller Härte zu spüren. In den Untersuchungsorganen und Gerichten war natürlich kaum je eine Frau vertreten. Mitleid und Mitgefühl waren den damaligen Entscheidungsträgern fremd. Gnadengesuche wurden mehrheitlich abgelehnt. Leider sind nur wenige Schicksale schriftlich überliefert.

Bücher:
Leben und Sterben der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt Sigfried Birkner, Insel Verlag, 1973
Susanna Margaretha Brandt wurde als achtes Kind eines Soldaten geboren und wuchs als Waise auf. Sie arbeitete als Dienstmagd bei der Witwe Bauer in der Frankfurter Herberge „Zum Einhorn“. Drei oder vier Wochen vor Weihnachten 1770 wurde sie von einem Goldschmiedegesellen aus Holland verführt, der wenige Tagen später war nach Russland weiter zog. Ihre Schwangerschaft verheimlichte sie vor ihren beiden, verheirateten Schwestern und ihrer Wirtin. Auch ein erster Arzt bemerkte nichts von der Schwangerschaft. Vier Wochen vor der Niederkunft ging sie zu einem weiteren Arzt. Auch dieser bemerkte nichts davon, dass sie im siebten Monat schwanger war. Am 31. Juli 1771 wurde sie in der Waschküche von Übelkeit und heftigen Leibschmerzen befallen. Die Witwe Bauer kochte ihr einen Tee und drohte ihr zugleich mit der Entlassung. Am Abend des 1. August 1771 brachte sie einen Knaben zur Welt. Es war eine Sturzgeburt, das Kind fiel mit dem Kopf voran auf den Steinboden. Sie sagte später aus, dass es nur kurz geröchelt habe. Im Morgengrauen floh sie nach Mainz. Vollkommen mittellos und entkräftet kehrte sie am nächsten Tag nach Frankfurt zurück. Dort wurde sie von der Wache festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Fünf Tage später grub man den auf dem Schandfriedhof des Gutleuthofs beigesetzten Leichnam des Kindes wieder aus. Das Strafverfahren fand nach damaligem Brauch ohne mündliche Verhandlung statt. Am 1. Oktober erging das erste Todesurteil. Das Gnadengesuch ihres Verteidigers wurde abgelehnt, und am 14. Januar 1772 folgte die Enthauptung mit dem Schwert.

Geschichtlicher Hintergrund: Die Kindsmörderin in der Zeit des Sturm und Drang
Susanna Margaretha Brandt wurde 1771 in Frankfurt wegen der Tötung ihres neugeborenen Kindes vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Goethe wohnte diesem traurigen Schauspiel bei und liess sich Dokumente zusammenstellen, welche er für die Darstellung seiner Gretchen-Tragödie im "Urfaust" verwendete. Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich Leopold Wagner, Strassburger Jugendfreunde der Jahre 1771/2, waren einhellig der Überzeugung, dass Kindsmörderinnen häufig in schweren inneren und äusseren Konflikten unschuldig seien. Daher haben sich Wagner und der junge Goethe literarisch mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Die Kindermörderin
Ein Trauerspiel, Heinrich Leopold Wagner, Reclam Verlag

   

Link: Kindsmord - Wehenschmerz und Wahnsinn

Weitere Literarische Quellen:
Kindsmörderin Die tiefe Verlassenheit der Barbara Weber
Waldgut Verlag, 2006
Barbara Weber, 1783 in Guggisberg geboren, arbeitet als Magd bei verschiedenen Bauern im Berner Mittelland. Als sie ein zweites Mal unehelich ein Kind erwartet, versucht sie die Schwangerschaft zu verbergen. Bringt es heimlich nachts auf die Welt und setzt es im Wald aus. Es wird tot gefunden, Barbara verhört, ins Gefängnis gebracht und 1813 in Laupen hingerichtet.

Gully-Marie Die Geschichte einer Kindsmörderin
Ines Mengis-Imhasly, Rotten Verlag, 2005
Die im Urserental geborene Anna-Maria Christen, die im Sommer als Magd in Visp weilte, wurde beschuldigt, ihren unehelichen Sohn im September 1811 in den «Mühlenwuhr» gestossen zu haben, um einen Mann heiraten zu können, der nicht gewillt war, dass sie das Kind mit in die Ehe bringt. Während die Frau ihre Unschuld beteuerte, sah das Gericht ihre Schuld als erwiesen an. Sie wurde am 1. Juni 1824 in Visp enthauptet.

Text: Walter Zwahlen

Tatwerkzeug Kerkertür Visp im Jahre 1824 (Hinrichtung der Gully-Marie)