News
Lumpensammler
Lumpensammler kamen auf, als abgetragene Kleidungen und weitere Textilien als Rohstoff für die Papierherstellung wichtig wurden. Es waren meist arme, invalide oder auch kaum arbeitsfähige Randgruppenangehörige, die Menschen, welche diesem Gewerbe nachgingen. Das Erscheinungsbild der Lumpensammler war meist erbärmlich; ihre Gesichter und Hände waren von Staub und Dreck geschwärzt, und ihre abgetragene, zerschlissene Kleidung unterschied sich kaum von der Lumpenfracht, welche sie aufsammelten und in Körben und Karren hinter sich herzogen oder von vorgespannten Hunden ziehen liessen. Ihre Tätigkeit wurde sehr lange als unehrliches Gewerbe diskriminiert und mit Schimpfworten überschüttet wie Haderlumpen oder Hudilumper.
Eigentlich übten sie eine wichtige Tätigkeit im Rahmen der Papierherstellung aus, weil die ausreichende Versorgung der Papiermühlen mit dem Rohstoff durch den ständig steigenden Bedarf an Papier seit der Erfindung des Buchdruckes zunahm und deshalb wiederholt zu Engpässen führte. In einigen Städten wurden Lumpensammelbezirke mit Konzessionen eingerichtet, Lumpensammler arbeiteten zum Teil auf eigene Rechnung oder waren Papiermühlen verpflichtet. Wegen der Rohstoffknappheit galt in den meisten Ländern ein Ausfuhrverbot. Je nach Qualität der angebotenen Ware fiel auch die daraus gewonnenen Papiersorten sehr unterschiedlich aus. Feine Lumpen lieferten feines Papier. Aus dem gröberen Rohstoff wurde Makulatur- oder Packpapier gefertigt.
Lange Zeit war die Tätigkeit des Lumpensammelns in höchstem Masse ein Gefahr für die Gesundheit. Erstmals dazu äusserte sich der italienische Arzt Bernardino Ramazzini 1700 aus Modena dazu: „es ist garstig, wie diese zusammengewürfelten Lumpen stinken, welche die Sammler in grosse Säcke abfüllen und diese unsaubere Ware den Papiermühlen zuführen. Viele sind von Husten, Keuchen, Ekel und Schwindel befallen. Staub und Krankheitserreger begünstigten Infektionskrankheiten wie Blattern, Sätze, Rotlauf, Typhus und Cholera. Besonders der Lungenmilzbrand mit starkem Hustenreiz, blutigem Auswurf und Atemnot führte zum raschen Tod.
In Frankreich hiessen sie Chiffonnieres. Als in Paris um 1830 die Cholera wütete verfügte die Commission sanitaire, dass der Unrat nicht länger auf der Strasse liegenbleiben dürfe, sondern auf Karren verladen und zur Stadt hinausgebracht werden müsse. Da die Chiffonniers dies als Einmischung in ihre Domäne betrachteten, hintertrieben sie die Gesundheitsreform, zerschlugen die neuen Karren und warfen den Dreck in die Seine. Der Dichter Heinrich Heine berichtete im April 1832 über diesen Aufstand. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es nach verschiedenen Test möglich, Papier aus Holzfasern herzustellen. Es gibt einige wenige Bilddokumente aus den 1930er Jahren, wo während der grossen Wirtschaftskrise Verarmte und Arbeitslose erneut als Lumpensammler mit Karren unterwegs waren, um sich so über Wasser zu halten. In der westlichen Welt ist diese Tätigkeit verschwunden oder hat sich stark gewandelt. Aus ehemaligen Lumpensammlern wurden Altstoffhändler und teilweise grössere Recyclingunternehmen.
Text: Walter Zwahlen