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Der sexuelle Missbrauch in der katholischen Kirche

Walz

Der sexuelle Missbrauch durch katholische Priester in verschiedenen Ländern ist seit Jahrzehnten wiederholt Thema in der Öffentlichkeit. Vielfach belegt seit 1984 durch Strafprozesse, X-Studien, Reportagen und Filme. Die Glaubenskongregation mit Sitz in Rom und die vatikanische Kurie bewegten sich in dieser Thematik kaum. Versuchten vielmehr durch Schweigen, Dogmatik, Schuldzuweisungen Kritiker und Opfer zu diffamieren. Das Buch von Doris Reisinger und Christoph Röhl zitiert unzählige Dokument und aufwendige Recherchen. Die Bilanz daraus ist mehr als beschämend. Auch etliche ehemalige Heim- und Verdingkinder, Ministranten berichteten in den letzten 12 Jahren von sexuellen Übergriffen durch Priester in der Schweiz. Dass diese schändliche Tradition in der Geschichte der katholischen Kirche aufhören muss, wird breit gefordert. Denn das Ausmass dieser Verbrechen ist immens. Als Erste hat die nordamerikanische Medienwelt hat diese Thematik öffentlich gemacht. Der Vatikan dagegen schützte stets die Täter, und tut dies auch weiterhin. Amerikanische, irische und australische Bischöfe, welche klar Stellung bezogen und von Rom Antworten forderten, wurden weder ernst genommen noch mit adäquaten Antworten versehen.

Kurzinhalt:
Das Buch ist ein Kompendium der Kirchenkrise, die sich um jene Person entfaltet, die als Theologe, Präfekt der Glaubenskongregation und späterer Papst die römisch-katholische Kirche der Gegenwart geprägt hat: Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. „Nur die Wahrheit rettet“ ist aber keine Papst-Biografie. Reisinger und Röhl interessierten sich vielmehr: „Welche Rolle spielte dieser Mann, der über ein Vierteljahrhundert die offizielle Position entscheidend prägte?“ Sie beschränkten sich nicht auf einzelne isolierte Fälle, sondern zeigten ein umfassenderes Bild der verstörenden Thematik. Das Buch ist auch ein Denkmal gegen das wiederholt falsche Signal von bloss „Einzelfällen“, welche die katholische Kirche im Angesicht der Missbrauchskrise stets ins Feld führte. Die Offenlegung des viel zu lange abgeschirmten Missbrauchs begann im Sommer 1984 in den USA, weil erstmals ein Priester wegen seiner Vergehen bei einem Zivilgericht offiziell angeklagt und auch schuldig gesprochen worden war. Weitere Anwälte in anderen Bundesstaaten erhoben Anklage und gründeten Netzwerke zusammen mit den Opfern. Aus anfänglichen Bussgeldern wurden Millionen, mehrere Diözesen in den USA mussten Konkurs anmelden. Der Irrglaube, dass das Problem weiter durch beharrliches Schweigen der Kirchenbehörden zu bändigen sei, vergessen gehe, scheiterte. Aber Rom verteidigte stur weiter Macht, Moral und Unfehlbarkeit der kirchlichen Lehre. Auch Priester, welche afrikanische Nonnen geschwängert und dann zur Abtreibung gezwungen hatten, blieben verschont, obschon, Abtreibung die grösste Sünde der katholischen Lehre darstellt, und mit der sofortigen Exkommunikation der Schuldigen hätte bestraft werden müssen.

Die Glaubenskongregation, obwohl dazu verpflichtet, war nie dazu imstande auf der Höhe der Zeit zu agieren. Durchaus verständlich, weil die katholische Kirche im Verlaufe ihrer langen Geschichte nie eine demokratische Reform unternommen hat und auch noch heute kaum gewillt ist, dies zu tun. Anfangs Juni 2021 bat der Münchner Bischof Marx den Papst Franziskus um seinen Rücktritt, die katholische Kirche sei an einem Tiefpunkt, und er übernehme die Verantwortung für die vielen Missbrauchsfälle. Sein Rücktritt wurde von Papst Franziskus, wie nicht anders zu erwarten war, abgelehnt. 2019 kam es in Deutschland zu fast 300'000 Austritten aus der katholischen Kirche. Eine Alarmzahl, die man wirklich ernst nehmen müsste. Deutsche Diözesen, welche mit den staatlichen Strafbehörden zusammenarbeiten vermissen eine klare Haltung Roms, ein Zeichen gegen den Glaubens- und Vertrauensverlust und eine Zusammenarbeit. Aber statt einer Antwort und Gesprächen bekamen sie aus Rom nur Direktiven. Ebenso erging es den englischsprachigen Bischöfen aus Irland und den USA, welche sich mit schwerwiegenden Bedenken zur Missbrauchskrise an die Instanzen wandten.

Text: Walter Zwahlen


Nur die Wahrheit rettet: Der Missbrauch in der katholischen Kirche und das System Ratzinger
von Doris Reisinger und Christoph Röhl

 

Portraits Autoren: Doris Reisinger ist Theologin, promovierte Philosophin, Forscherin und Autorin mehrerer Bücher zur Thematik. Christoph Röhl ist Filmregisseur. Von ihm stammen ein kritischer Film zur Rolle Ratzingers, Verteidiger des Glaubens 2019, und ein Spielfilm zum sexuellen Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule, Die Auserwählten 2014.

Filme zur Thematik:

Spotlight, Tom McCarthy, 2016, 128 min.
Im Jahr 2001 erhalten investigative Journalisten der Zeitung "Boston Globes" einen besonderen Auftrag ihres Chefredakteurs: Kindsmissbrauch in der katholischen Kirche, einen Fall von Pädophilie bei einem Priester zu untersuchen, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn schnell wird klar, dass hier ein System existiert, das alles daransetzt, die Verfehlungen des Klerus zu verschleiern. Der anfänglich vermutete Einzelfall entpuppt sich als Skandal mit ungeahnten Ausmassen. Die Journalisten stossen auf zahlreiche Widerstände, die Opfer schweigen aus Angst und hochbezahlte Anwälte spielen auf Zeit. Die Recherche droht fast zu scheitern!


Grâce à Dieu, François Ozon, 2018, 137 min
Alexandre lebt mitsamt Frau und Kindern in Lyon. Er ist Katholik und erfährt eines Tages durch Zufall, dass der Priester, der ihn einst missbrauchte, als er noch bei den Pfadfindern war, noch immer mit Kindern arbeitet. Diesen Gedanken kann Alexandre nicht ertragen und beschliesst, etwas dagegen zu unternehmen. Mit François und Emmanuel schliessen sich ihm zwei weitere Opfer an. So wollen sie sich von der Last ihres langen Schweigens befreien und kämpfen um die Offenlegung der Missstände.