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Die ehemaligen Spanienkämpfer ein unbewältigtes Stück Sozialgeschichte

Spanienfreiwillige

Kein anderer Staat hat so vehement und über Jahrzehnte wiederholt die Rehabilitierung ihrer Bürger für die Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg verweigert wie die Schweiz. Nämlich erst 2009, als auch der letzte ehemalige Kämpfer längst hochbetagt gestorben war. Kein Ruhmesblatt für die gern besungene demokratische und besonders humanitäre Schweiz. Im gleichen Jahr erschien das biografische Handbuch „Die Schweizer Spanienfreiwilligen“ von Peter Huber und Ralph Hug. Von den rund 800 ehemaligen Spanienkämpfern sind 700 in kürzeren oder etwas umfangreicheren Biografien porträtiert. Eine immense Fleiss- und Sucharbeit durch zig Archive in verschiedenen Ländern.

Tessiner Freiwillige.
Alle Fotos auf dieser Seite: Paul Senn, FFV, Kunstmuseum Bern, Dep. GKS. © GKS.
Ankunft verletzter Spanienfreiwilliger in Genf 1938.

Wirtschaftskrise und Aufkommen des Faschismus in den 1930er Jahren
Die Mehrheit der Spanienkämpfer kam aus dem gewerkschaftlichen oder sozialdemokratischen Lager. Die Gruppe der Handwerker war darin besonders stark vertreten. Gerade sie traf die Wirtschaftskrise der 1930er mit grosser Arbeitslosigkeit besonders hart. Trotz Lehre und solidem Beruf lebten sie über Jahre und Monate von der Hand in den Mund. Nur Gelegenheitsjobs, oft nur Wochen oder Monate, ständig auf Wanderschaft nach Verdienst, wiederholte Phasen von Arbeitslosigkeit, keine Aussicht auf Besserung. Eine Perspektivenlosigkeit, die man sich heute schlichtweg nicht vorstellen kann. Bund und Kantone waren völlig überfordert und unternahmen kaum Signifikantes, um die Situation für die Bürger zu verbessern, eher um ihnen noch zusätzliche Steine in den Weg zu legen. Frankreich bot da schon etwas mehr Arbeit und Spanien war hoch im Kurs. Dazu kam die starke Präsenz der kommunistischen Partei in diesen Kreisen, welche die Gefahr des Faschismus klar dokumentierte. Die Demokratie zu verteidigen, war deshalb für junge Schweizer, die in ihrem Heimatland keine Zukunft sahen, eine grosse Hoffung und Herausforderung. Wer mit den Gewerkschaften, den Sozis oder noch schlimmer mit den Kommunisten sympathisierte war für die Bürgerlichen eine ernsthafte Gefahr und wurde dafür vor oder nach dem Krieg mehrfach abgestraft.

Herausgegriffen
Ich habe 83 von 700 Biografien näher untersucht (siehe Tabelle), weil dies bisher noch nie in dieser Form unternommen wurde. Es sind 83 Einzelschicksale, die unterschiedlich belegt sind, aber zeigen, dass die Mehrheit schon in ihrer Kindheit und Jugend ein hartes Brot assen. Unehelich geboren, Waisen oder Halbweisen, Pflege-, Heim- oder Verdingkinder, in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen, meist mit dürftigster Bildung. Zwei Drittel ohne Berufslehre, 71% vor der Abreise nach Spanien über Jahre ohne feste Arbeit, 42% mehrfach arbeitslos.

Unehelich geboren 10
Waisen/Halbwaisen 30
Verdingt 29
Pflegekinder 17
Waisenhaus 9
Kinderheim 3
Erziehungsheim 12
Heim für Schwererziehbare 12
Jugendgefängnis/GefängnisTessenberg/Witzwil 15
Keine Berufslehre 55
Nach der Lehre oder als Ungelernte nur Hilfsjobs 59
In den Jahren vor Spanien arbeitslos 35
davon vorher in der Fremdenlegion 6
während der Arbeitslosigkeit aus Not straffällig 21

Beispiele:
Unehelich
Otto Pfister 1905-1968 , unehelicher Sohn der Wäscherin Anne Luise Pfister, teilweise zuhause aufgewachsen, später Erziehungsanstalt Abtwil SG, Schreinerlehre, arbeitet aber für verschiedene Baufirmen als Maurer, KP, arbeitslos, seit 1932 bevormundet, dann 2 Jahre Anstalt Littenheid ZG, flieht mehrmals, 1935 kommt er nach Witzwil, straffällig, 3 ½ Monate Gefängnis, 2 Jahre Aberkennung der politischen Rechte.

Waise
Oskar Bosshart 1909-2006 Waise, verdingt, Knecht, abgebrochene Lehre, Kaminfegergehilfe, KP, 4 Monate Gefängnis und 2 Jahre Aberkennung der politischen Rechte.

Straffällig
Fritz Brunner 1912-1988 Eltern arbeiten in der Textilbranche, 8 Kinder, Mechanikerlehre, straffällig, 2 Jahre Korrektionsanstalt nach der Lehre in Regensdorf 1931/32, Handlanger, Knecht, Arbeitssuche, Diebstahl, 14 Tage Haft wegen Fr. 3.50, Bettel, Landstreicherei, SP, KP, 4 Monate Gefängnis, 3 Jahre.

Gefängnis
Ulrich Löhrer 1916-1979, Erziehungsschwierigkeiten in der Schule (Taugenichts), aus der ersten Arbeitsstelle nach 2 Monaten entlassen, 2 Lehrabbrüche, scheitert in der Ausläuferstelle, 1934 versorgt ihn der Vater in einen Rennstall in Lugano, dort brennt er nach 2 Monaten durch, wird in die Anstalt Breitenau SH eingeliefert und kommt von dort in die Besserungsanstalt Oberuzwil SG, nach einem ½ Jahr reist er von dort nach Spanien, 4 ½ Monate Gefängnis und 3 Jahre Aberkennung der politischen Rechte.

Heimkind
Ernst Saner 1911-1937 getrennt von den Eltern als Heimkind St. Joseph Grenchen, verdingt, abgebrochene Lehre, Knecht, Vorstrafenregister, keine Militärdienstpflicht, Witzwil, 1937 gefallen, in Abwesenheit 4 Monate Gefängnis, in Abwesenheit 3 Jahre Aberkennung der politischen Rechte, hartes und sinnloses Urteil, da im Krieg gefallen.

Der Staat griff mehrfach mit harter Hand durch
Ein Viertel der Betroffenen wurde durch Mittellosigkeit und Not straffällig, in den meisten Fällen Bagatellvergehen. Das reichte für die Korrektionsanstalt, das Heim für Schwererziehbare, das Jugendgefängnis oder auch fürs Zuchthaus. Schon das Anwerben für den fremden Kriegsdienst wurde geahndet. Die Rückkehrer hatten nur in den seltensten Fällen Einsicht für die Notlage. Durch besonders harte Urteile glänzten die Divisionsgerichte von Basel Bern, St.Gallen und Zürich gegenüber den Rückkehrern, während die Westschweizer Militärrichter den gesunden Menschenverstand behielten und eindeutig mildere Urteile fällten. Nur in 3 Fällen kam es zu einer Korrektur des Urteils, in einem einzigen zu einer Begnadigung. Die Militärjustiz hat sich für diese unmenschliche Praxis und das rigorose Abstrafen der schon durch die Kindheit, Jugend und die Wirtschaftskrise Gebeutelten nie entschuldigt. Einige wenige hatten, das Glück, dass sie nach der Rückkehr durch die Militärjustiz nie belangt worden waren. 10% der Freiwilligen fanden auf den Schlachtfeldern Spaniens den Tod.

Dazu kommen 90 Namen von Spanienkämpfern ohne jegliche biografische Daten, unter denen es bestimmt auch noch ähnliche Schicksale gab. Kaum jemand stellte sich die Frage, wie es mit unserer Demokratie heute bestellt wäre, wenn sich nicht die internationalen Brigaden dem Franco-Faschismus mutig entgegengestellt hätten.

Zusammenstellung und Text Walter Zwahlen

Buch Gschwind

Peter Huber, Ralph Hug
Die Schweizer Spanienfreiwilligen
Biografisches Handbuch
Mit zahlreichen historischen Fotos
1. Aufl. 2009
480 S. - 17 x 24 cm, Gb
ISBN 978-3-85869-390-7