Zeitzeugen

 
Beat Eymann

Ich wurde am 23. September 1956 in Bern geboren. Die ersten sechs Jahre verbrachte ich bei meinen Eltern und meiner Schwester in Münchenbuchsee. Weil mein Vater in dieser Zeit straffällig wurde und das Geld nicht reichte, musste meine Mutter vermehrt arbeiten. Im Jahr 1966 wurde die Ehe meiner Eltern geschieden. Meine Mutter wollte keinesfalls, dass ich ein Schlüsselkind wurde. Deshalb platzierte sie mich vor dem Schuleintritt bei einer alleinstehenden alten Frau in Aetigkofen im Kanton Solothurn, wo ich von 1962 bis 1966 als Pflegekind weilte. Denn spätestens nach der Scheidung hätten die Gemeindebehörden wohl eingegriffen, mich bevormundet und irgendwo platziert.

Die Pflegemutter war eine böse Frau, ging am Stock aber traktierte mich wiederholt mit Schlägen. Diese Frau war aktives Mitglied bei der Zeltmission, einer religiösen Sekte. Oft musste ich bis Mitternacht bei diesen Zusammenkünften in ihrem Haus aufbleiben und die „Predigten„ anhören. Dies kam auch einer Tante und dem Onkel zu Ohren, und sie haben sich eingeschaltet.

Nun kam es zu einer Umplatzierung. Deshalb kam ich 1967 als Elfjähriger zu einer Bauernfamilie nach Wikartswil. Im selben Haushalt lebten der Grossvater, der Bauer und die Bäuerin, sowie ein damals einundzwanzigjähriger Sohn und eine etwa 11-jährige Tochter. Die Bäuerin war eine böse Frau, welche mich wiederholt mit dem Besen traktierte. Und durch den Sohn kam es zu sexuellen Übergriffen, die nie geahndet wurden. Der Bauer selber war mir wohlgesinnt und gab mir im Versteckten vierzehntäglich fünf Franken Taschengeld. Tagwache war nach 5 Uhr am Morgen, und ich musste zuerst in den Stall. Um 6 Uhr brachte ich mit dem Pferd dann die Milch in die Käserei, nahm dort die Schotte auf und fuhr zurück. Dann folgte das Frühstück. Manchmal musste ich noch die Rinder auf die Weide bringen. Danach die Kleider wechseln und mich auf den Schulweg machen. Essen gab es auf dem Hof gut und genug. Ich hatte ein eigenes, jedoch im Winter nur schlecht geheiztes Zimmer, oft mit Eisblumen am Fenster.

Weil die Arbeit vorging, hatte ich für die Schulaufgaben stets nur wenig Zeit. Zum Glück war ich ein guter Schüler. Leider wurde mir der Übertritt in die Sekundarschule trotz guten Noten verhindert. Neben dem Kostgeld hatte meine Mutter auch für meine Kleider aufzukommen.

Nach dem Ende der Schulzeit begann ich eine Landmaschinenmechanikerlehre im Weiler Liebewil in der Gemeinde Köniz. Den Anforderungen der Gewerbeschule konnte ich bald nicht mehr folgen, wies ich doch gegenüber den andern besser geschulten Lehrlingen zu viele Lücken auf, so dass ich die Lehre nach einem halben Jahr leider abbrechen musste. Durch Vermittlung kam ich als Handlanger zu einer Stelle auf dem Bau. Später wurden daraus Wanderjahre in verschiedenen Jobs. Mit 20 Jahren folgte eine erste längere Anstellung in der Kartonfabrik in Deisswil. Später ein Wechsel zu den städtischen Verkehrsbetrieben in Bern als Mitarbeiter im Tramdepot Bern Burgernziel, wo ich 9 Jahre lang blieb und auch eine Tramführer Ausbildung absolvierte und manchmal bei Engpässen im Fahrdienst einspringen musste. Nach dieser Zeit wechselte ich zur PTT, wo ich als Fahrer in einem separaten Kurierdienst tätig war. 2002 wechselte ich zur Swisscom, wo ich bis zu meiner Pensionierung im September 2019 blieb.

1980 heirateten meine Frau und ich. Wir bekamen zwei Kinder, die inzwischen erwachsen sind. 2014 machte ich mich zusammen mit meiner Frau auf die Suche nach meinen Akten. Ohne Vorankündigung gingen wir jeweils zu den verschiedenen involvierten Gemeinden und verlangten Einsicht. Das gab inzwischen ein umfangreiches Dossier, vor allem über meinen Vater. Einige Jahre nach dem Tod meiner Mutter erfuhr ich von meiner Tante, dass meine Schwester eigentlich meine Halbschwester war. Sie war sechs Jahre älter als ich und stammte aus einer früheren Beziehung meiner Mutter. Meine Halbschwester kam 1980 mit 30 Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben. An meinen Vater habe ich nur eine vage Erinnerung. Er nahm mich, als er als Baggerführer arbeitete manchmal mit auf die Maschine. Aus den Akten sah ich auch, dass er wegen kleinen Vergehen stigmatisiert, erneut eingebuchtet wurde, und man ihn von den Strafbehörden fertig machte.

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Beat EymannFoto:
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