Zeitzeugen

 
Olga Marti-Schenk

Ich bin am 23. Januar 1926 in Studen geboren. Von den neun Kindern bin ich die drittälteste. Mein Vater war Wagner von Beruf. In der Freizeit machte er Musik und hat sogar eine eigene Kapelle dafür gegründet. Meine Mutter war für uns Kinder da. Sie hatte es aber nicht leicht. Unser Haus war viel zu klein für soviele Kinder, so mussten die älteren von zu Hause weg!

Drei Jahre ging ich in Studen zur Schule. Wir wurden gehänselt und ausgelacht, ja sogar beschimpft. Mein Vater war ein Frauenheld und meiner Mutter untreu! So waren wir in den Augen der Dorfleute nur die “Schenkböcke”.

Mit zehn Jahren musste ich das Elternhaus verlassen. In Kappelen kam ich in eine Bauernfamilie, wo ich hart arbeiten musste! Drei Jahre verbrachte ich dort bei der Familie Marti. Ein Jahr durfte ich danach wieder zu meiner Familie zurück. Auch dort gab es viel zu helfen. In Merzligen bin ich zu einer weiteren Bauernfamilie gekommen. Nach der Schule musste ich dort wie eine Magd arbeiten, zum Spielen war keine Zeit.

Meine nächste Station war wieder Studen bei Familie Mühlheim auf einem Bauernhof. So konnte ich wenigstens meine Geschwister während der Schulzeit sehen und ab und zu auch meine Mutter. Nach neun Schuljahren ging ich nach “Aubon” ins Welschlandjahr zu einer Bauernfamilie mit sieben kindern. Es ging mir dort mehr schlecht als recht. Musste hart arbeiten von morgens früh bis abends spät, meist gegen 22 Uhr für blosse 20 Franken Lohn pro Monat, nebst Essen und Unterkunft.

All die Jahre hatte ich zwar ein Bett und Essen. Was mir fehlte, war Liebe und Geborgenheit. Weitere drei Jahre arbeitete ih in Biel in einer Metzgerei als Haushalt- und Kindermädchen. Die Liebe lockte mich nach Bern. Endlich einmal etwas Anderes arbeiten zu können, darauf freute ich mich. Start in ein neues Leben mit Liebe. Dem war aber nicht so, mein Freund war wie mein Vater ein Frauenheld.

In der Gärtnerei Gerber entdeckte ich das Flair für Blumen, nebst jäten und putzen durfte ich auch schöne Sträusse binden. Wie es so geht, habe ich dann doch noch den richtigen Mann geangelt. Nun sollte alles gut und schön werden. Im März 1949 habe ich meinen Fritz geheiratet.

Am 1. August bekam ich meine Tochter Erika. Sie erkrankte an Kinderlähmung. Im Dezember 1950 kam Anna-Rosa auf die Welt. Wir zogen vom Rosenweg an die Simonstrasse um. In der Nähe bepflanzten wir einen Garten mit Gemüse. 1955 kam unser Sohn Fritz auf die Welt. Zwei Jahre später die Tochter Susanne, die mit zwei Monaten drei Mal Hirnhautentzündung hatte. Durch diese Krankheit ist Susi geistig behindert. 1959 bekam ich im Dezember den zweiten Sohn Anton.

Unsere Dreizimmerwohnung im Dachgeschoss war längsten viel zu klein. Alles lastete auf mir. Fritz war keine Hilfe und Unterstützung für mich. Neben den Familienpflichten ging ich putzen, da das Einkommen meines Mannes nicht langte. Zeit für Liebe gab es nicht. Mein Hausarzt verstand unsere Lage. So konnten wir dank ihm 1962 nach Bümpliz in eine Vierzimmer Einfamilienhaus ziehen, wo ich noch heute mit Susi wohne. Für Hobbys hatte ich auch keine Zeit, deshalb pflegte und hegte ich meinen Blumengarten mit viel Liebe, nach der ich mich so sehnte.

Heute schaue ich auf ein Leben zurück. Irgendwie ist es immer gegangen. Trotz vielen Operationen und dem Velounfall, den ich im Mai 1999 hatte. Ich bin ich auf Hilfe angewiesen, weil ich seither einen Rollstuhl benötige, blieb ich optimistisch. Lebe für meine Kinder, Gross- und Urgrosskinder. Seit dem April 2003 bin ich Wittfrau. All den Menschen, die heute zu mir stehen, mir zu spüren geben, dass sie mich lieben, möchte ich von ganzem Herzen danken, denn das ist mir Lohn und Ernte, dort wo ich Liebe gesäet habe.

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