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Frédéric Zwicker: Hier können Sie im Kreis gehen

Frédéric Zwicker

Vielen Menschen «blüht» mit dem Schwinden der Kräfte als weitere Lebensstation das Alters- oder Pflegeheim. Gerade für ehemalige Heimkinder ist dieser unausweichliche Schritt manchmal der blanke Horror, weil sie in der Kindheit mit Isolation, Gewalt und Machtlosigkeit jahrelang konfrontiert waren. Dieses Ausgeliefertsein und die damit verbundene Not wird vielfach unterschätzt. Der Autor spricht in seinem ernsten, aber auch verspielten Werk all diese unterschiedlichen Ebenen an und entlarvt mit seinem spitzbübischen Humor Geschichte, Geschehen und die institutionelle Realität.

Im Alter von 91 Jahren kommt der Witwer Johannes Kehr ins Pflegeheim. Nur: Seine Demenz ist vorgetäuscht. Aber er hofft, im Heim seine Ruhe zu finden. Aber so einfach ist es nicht. Nachdem vor ihm schon der Sohn, seine Frau und seinen Freund starben, und er dem verbleibenden Rest der Familie nicht zur Last fallen will, verkriecht er sich hinter diesem selbst gewählten Vorhang. Eine letzte Inszenierung, die gar nicht so leicht zu spielen ist, akribische Vorbereitungen verlangt und keine Fehler erlaubt. Kehr schildert seine meist unfreiwillig mehr oder weniger anwesenden Mitbewohner und erzählt in kleinen Stücken die Geschichte seines Lebens.

Als Waise ungeliebt bei Verwandten aufgewachsen hilft ihm der Zufall, aus den Mühlen von Armut, Stigmatisierung und Einsamkeit zu entfliehen. Er kämpft sich hoch, trotz einer verweigerten und nie überwundenen Liebe, durch ein Leben voller Arbeit und Pflichterfüllung, bis ihm am Ende nur noch Sophie bleibt, seine Enkelin. Aber auch Sophie weiht er nicht in seinen letzten Protest, seine Flucht nach innen ein. Dem Foto im Zimmer auf der Etage, erzählt er Passagen aus seinem Leben; ihr und dem Kater, einem Tier, das sich auch nicht einsperren lässt. «Am Ende bliebst mir nur du, Sophie. Ich beklage mich nicht, aber das Leben hat mich abgenützt, an mir seine Narben hinterlassen. Am Ende war es auch für mich zu viel. Ich habe die Kraft verloren, mich zu wehren. Ich wusste nicht mehr, wozu ich mich noch wehren sollte. Und ich sah keinen Ausweg, ausser diesem hier.»

Kehr beobachtet die schrulligen und teilweise aggressiven Mitbewohner. Er lüftet manchen Schleier hinter der Anstalt, dem Personal und dem manchmal absurden System. Seine vorgetäuschte Demenz nutzt er auch als Alibi, um abzuhauen oder kleine Streiche zu verüben. Je vertrauter ihm das Heim und seine Hintergründe werden, je länger er dort verweilt. desto grösser wird die Gefahr, dass seine Rolle ans Licht kommt.

Text: Walter Zwahlen


Hier können Sie im Kreis gehen
Roman, Autor: Frédéric Zwicker, Verlag: Nagel & Kimche, ISBN: 978-3-312-00999-2.


Kurzbiografie Frédéric Zwicker:
Frédéric Zwicker wurde 1983 in Lausanne geboren und wuchs in Rapperswil-Jona auf. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie und trat daneben regelmässig an Poetry Slams auf. Seit 2006 setzt er seine Texte in der Band «Knuts Koffer» auch musikalisch um. Zwicker arbeitet als Texter, Journalist, Moderator und Redakteur der Kulturzeitschrift «Saiten». Hier können Sie im Kreis gehen ist sein erster Roman. Seinen Zivildienst leistete er in einem Pflegeheim ab und schöpfte aus dieser Erfahrung für dieses Werk.