Zeitzeugen


Herbert Keller

Ich wurde am 26. August 1946 im Säuglingsheim in Herrliberg ZH geboren und bekam den Familiennamen meiner Mutter, Keller, da der Vater angeblich unbekannt war. In den Akten fand ich später den Brief meiner Mutter, indem sie schrieb, sie verzichte auf mich als ihr Kind. Danach verschwand sie. Sie ging nach England und heiratete dort. Danach kam ich zu den kinderlosen Pflegeeltern Schöneberger nach Mitlödi im Kanton Glarus. Der Pflegevater war Handelsreisender von Beruf. Auch die Pflegemutter arbeitete, sie hatte deshalb wenig Zeit für mich, und deshalb wurde ich tagsüber an wechselnden Plätzen im Dorf betreut. Schönebergers hatten eigentlich vor, mich zu adoptieren. Sie bekamen aber nach wenigen Jahren doch noch ein eigenes Kind. Das verkraftete ich schlecht.

Danach kam ich zu weiteren Pflegeplätzen im Kanton Glarus. Als ich 6 Jahre alt war, brachte man mich für ein Jahr in die Kinderbeobachtungsstation nach Brugg im Kanton Aargau. Mit 7 Jahren wurde ich ins Kinderheim Effingen AG versetzt, wo ich neun Jahre lang blieb. Ich absolvierte 5 Jahre die Primarschule im Heim selber. Danach ging ich von dort aus in die Sekundarschule in Bözen. Nach der Schulzeit kam ich für ein Jahr in eine externe Berufswahlschule, hatte aber noch ein separates Zimmer in einem anderen Gebäude des Heims.

Während meiner Zeit im Heim kam es zu mehreren sexuellen Übergriffen durch einen Lehrer. Dies wurde jedoch nie untersucht. Bei einem Besuch des heutigen Heims 2020 in Effingen, konnte ich kaum etwas in Erfahrung bringen. Man hielt dort weiterhin dicht. Erst aus den Akten erfuhr ich später, dass ich noch einen Halbbruder hatte, der mit mir 7 Jahre ebenfalls in Effingen war, ohne, dass wir voneinander wussten.

1962 trat ich die 4-jährige Buchdruckerlehre in Wallisellen an. Während dieser Zeit weilte ich im Lehrlingsheim Brüttisellen im Ort Baltenswil im Kanton Zürich. 1966 schloss ich die Lehre mit einem Diplom ab. Meine Heimakten sind sehr umfangreich. Diejenigen von Effingen des Vormunds und der Behörden 100 Seiten, voll mit all den kleinsten Verfehlungen. 1946 untersuchte mich ein Arzt in Tägerig AG. Er erwähnt in seiner Diagnose, dass ich nirgends recht Wurzeln fassen konnte. 1951/52 hatte ich mehrere Asthmaanfälle. 1953 kam ich für ein Jahr zur in ein Heim nach Feldis im Bündnerland. Danach brachte man mich in die Kinderstation Rüfenach im Kanton Aargau.

Die Akten aus dieser Zeit sind sehr unterschiedlich, aber wenig professionell. Immerhin wurde vermerkt, dass Herbert darunter litt, keine Post und Besuche zu bekommen. Die diversen Beurteilungen oder sogar Alterstests als ich zwischen 6 und 8 Jahren alt war sind aus heutiger Sicht weitgehend dilettantisch. Unbedeutende Dinge, die ein normaler Mensch einzuordnen versteht, werden überbewertet. Oder die Befunde des Arztes der kantonalen Heil- und Pflegeanstalt Königsfelden AG vom 5. Februar 1953 an die Amtsvormundschaft Lenzburg über mich sind teilweise tendenziell auf der Grundlage von falschen Annahmen, Heute hätte ich das Recht Berichtigung der Akten zu verlangen. Nach der Lehre arbeitete ich zwei Jahre bei der Firma Conzett und Huber als Drucker.

Text: Walter Zwahlen


Nachtrag zu meinem Engagement in der Fremdenlegion
Im Dezember 1968 ging ich mit einem kleinen Koffer und wenigen Kleidern bei Genf zu Fuss über die Grenze nach Annemasse. Während den nächsten Monaten reiste ich Südfrankreich herum, wohnte dann wieder in Marseille und hatte dort verschiedene Aushilfsjobs. Dort lernte ich auch ehemalige Fremdenlegionäre kennen. Am 25. April 1969 unterschrieb ich in Strasbourg selber für 5 Jahre den Legionsvertrag. Im Mai des gleichen Jahres kam ich in die Kaserne in Marseille und schon am 1. Juni ging es per Schiff nach Bastia auf Korsika zur Ausbildung. Von dort per Lastwagen in den Süden nach Bonifacio, wo ich den Führerschein erhielt, und dann in diversen Stages und weiteren Orten ausgebildet wurde. Anfangs Februar 1972 wurde ich dort Korporal. Im Juni 1973 ging es über Paris nach Djibouti in Ostafrika. Ende September 1975 kam ich zurück nach Südfrankreich und arbeitete dort einige Zeit in der Druckerei des Legionszentrums in Aubagne. Im Februar 1975 nach 7 Jahren Dienstzeit nahm ich Abschied. Grund meines Engagements in der Fremdenlegion waren die langen Jahre im Kinderheim und dem Gefühl, kein Heim und Heimat zu haben, nirgends Fuss fassen zu können. Zum Glück wurde ich während den 7 Jahren nie verletzt.

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Bilder: zvg